DAS MAGISCHE DREIECK:
QUÉBEC – TADOUSSAC – CHICOUTIMI (KANADA)
Solo im See-Kanu/Kanadier
Juli 2009
Reinhard Zollitsch
Vor zehn Jahren paddelte ich mein Solo See-Kanu/Kanadier 1000 Meilen (1600 km) den St. Lorenz runter, entlang der Appalachen Bergkette, von Montreal an Québec vorbei und um die Gaspé Halbinsel herum zurück nach New Brunswick. Diesen Sommer wollte ich nun entlang der Nordküste des großen Stromes und der laurentischen Gebirgskette bis hin nach Tadoussac paddeln und dann den 113 km langen Saguenay Fjord hoch nach Chicoutimi. Den wollte ich schon lange einmal sehen. Von Québec waren das zwar nur 333 km, aber allein auf dem großen St. Lorenz mit seinem starken Gezeitenstrom ist das immer eine gute “challenge”.

Seekarte der Reise
(anklicken zur Vergrößerung)
Teil I: Québec-Tadoussac
Die Fahrt geht los
Am 22. Juli 2009 ging die Fahrt in Québec/Lévis los. Ich fuhr wie immer voll ausgerüstet für 10 Tage Strandcamping, einschließlich 20 Liter Wasser, Satellitentelefon und Seesprechfunkgerät. Mein Tagesziel waren 20 Seemeilen (36 km), was ich bis auf einen Tag schaffte.

Québec/Lévis: Start der Fahrt
Als ich einsetzte, ebbte der Strom. Gut, dachte ich mir. Da werd ich also jeden Morgen den Ebbstrom-Express flussabwärts nehmen können. Die Freude war aber kurz, denn jeden Tag blies es 15-20 Knoten von Nordost, direkt auf die Nase und gegen den Ebbstrom.
Die erste Probe kam schneller als erwartet. Von Lévis musste ich rüber über den Strom zur Insel Orléans und zur Nordküste. Auf meiner Seekarte waren 4 Knoten Ebbstrom eingezeichnet, und bei dem Gegenwind musste ich ernsthaft tanzen und war nass und kalt für den Rest des Tages.

Alles im Boot - jetzt geht's los
Nach 6 Stunden Ebbe war es dann unmöglich, über die breiten Watt- oder meist Steinfelder an Land zu kommen. Ich entschied mich deshalb, den St. Anne Fluss bei Beaupré hoch zu paddeln, bis ich endlich landen konnte.
Die nächsten Tage verliefen nicht viel anders. Ich paddelte um ein riesiges Vogelschutzgebiet bei Kap Tourmente, wo sich im Herbst tausende von Schneegänsen sammeln bevor sie so Mitte Oktober in einem riesigen Schwarm gen Süden fliegen. Die Steinfelder erstreckten sich immer weiter in den Fluss, so dass ich erst nach 9,5 Stunden bei Cap de la Baie eine Möglichkeit sah, an Land zu kommen. Ich hatte 53,5 km gepaddelt und war fertig.
Nach meinen Fahrten die letzten zwei Sommer um Cape Breton Island, Nova Scotia herum und die Westküste Neufundlands hoch, sollte die diesjährige Fahrt eine “Spazierfahrt” werden, hatte ich meiner Frau versprochen, zumal ich das fortgeschrittene Pensionsalter von 70 Jahren erreicht hatte. War's aber nicht.

Camp auf der Cap de la Baie Huk
Nach einem kurzen Bad und einer heißen Tasse Schokolade, sah die Welt aber schon bald wieder freundlicher aus. Ich konnte mein Zelt auf einem kleinen Felsvorsprung aufschlagen und hatte die Insel Îsle-aux-Coudres gerahmt in meiner Zelttür.
Jacques Cartier hatte diese Insel 1535 (auf seiner zweiten Fahrt in die Neue Welt) nach den vielen Haselnusssträuchern so benannt. Heute müssen die großen Frachter und Containerschiffe auf dem St. Lawrence Seaway um diese Insel rum fahren und kamen dann auch den ganzen Nachmittag nahe an meinem Kap vorbei – ein interessantes Schauspiel. Nachts war der Bogen um die Insel sogar beleuchtet wie eine echte “Wasserstraße”.

Îsle-aux-Coudres in meiner Zelttür
Von meiner Fahrt vor 10 Jahren, wusste ich, dass die Gezeiten auf dem St. Lorenz unregelmäßig sind, d.h. die Flut am Morgen ist etwa 30 cm höher als die zweite Flut. Und tatsächlich kam die 6:00 Uhr Flut bis an mein Zelt ran. Kein Problem, besonders das Einladen und Loskommen von hier.
Am nächsten Tag musste ich wieder bei Ebbe mein Boot und all meine Sachen gute 150 Meter an Land schleppen. Aber diesmal hatte ich nach 40 km bei St. Irénée einen seicht ansteigenden Steinstrand gefunden. PORTAGE! wie die Kanadier so liebevoll diese charakterformende Tätigkeit nennen. Für mich war und bleibt das aber nur eine unvermeidliche Plackerei – kein Spaß.
“Tide rips” - Gezeitenstromschnellen
Wieder waren Nebel und Regen und dazu Starkwind aus Nordost angesagt. Bei der Einfahrt in die Malbaie Bucht war ein Ebbstrom von 3 Knoten auf meiner Seekarte angezeigt. Ich tanzte um die Ecke und hielt dann sorglos auf die andere Huk bei Cap-à-l'Aigle (Adler Kap) zu. Das Ufer war eine steile Felswand, aber kein Gezeitenstrom war auf meiner Karte verzeichnet. Dann plötzlich ging's los, und ich war mitten drin und konnte nicht mehr raus.
Ein Gezeitenstrom, wie ich ihn noch nie gesehen hatte! Wellen und Walzen, die sich brachen und von der Felswand zurückschlugen. “OH NO!” schrie ich laut, und da schlug auch schon die erste Welle über mein Boot und mir mit einem kräftigen und lauten “whomp” gegen die Brust; die nächste sogar über meinen Kopf, und ich hatte Seetang im Gesicht. Da schaltete ich nicht nur in meine Wildwasserrennmentalität um, sondern gleich voll auf “survival”.
Mit Tempo über die Wellen und durch die brechenden Wellenkämme, Kurs halten, nicht abstoppen, blitzschnell abstützen, wenn Wellen seitwärts einschlagen, und immer das Paddel im oder auf dem Wasser halten! Da ich nur ein 125 cm langes Kanadierrennpaddel in der Hand hatte und kein Kajakdoppelpaddel, waren meine Manöver wohl etwas frenetisch, aber geschickt, schnell und kräftig. Zum Glück wog mein Paddel nur etwa 300 Gramm.
“I was on the edge,” wie wir hier sagen. Mein Boot und ich hatten unsere Grenzen erreicht. Aber nie kam der Gedanke, auszusteigen oder gar aufzugeben. Wir waren drin in der Chose, bis es nach etwa 200 Metern wieder weniger wild wurde. Ich war total außer Atem, murmelte ein paar “Thank-yous” und landete mein Boot auf dem erstbesten Strand, an dem wir vorbeikamen. Ich hatte nur 16 km gepaddelt, aber war total fertig, körperlich und überhaupt, und fast bereit, meine ganze Fahrt aufzugeben.
Ich schlief den restlichen Tag fast wie im Schock in meinem Schlafsack, nur unterbrochen von etlichen Tassen heißer Schokolade und schließlich meinem Abendbrot-Eintopf aus der Dose.
Wieder im Boot - nächstes Problem: “Batture”
Dichter Nebel, Nieselregen und eine leichte Brise aus Nordost grüßten mich am nächsten Morgen, als ich fast mechanisch mein Boot packte und lospaddelte. Ich hoffte nur, dass der Adler von Cap-à-l'Aigle mich nicht wieder packen würde. Als ich Cap Saumon (Kap Lachs) rundete und der Nebel sich momentan hob, sah ich dann aber meine ersten Wale, weiße Beluga Wale, die entlang der Küste nach Tadoussac sehr häufig zu sehen sind. Dann schwamm sogar ein Nerz direkt vor meinem Bug. Da musste ich lächeln, und damit wurde meine Fahrt wieder flott.
Trotz dichten Nebels schaffte ich es an dem Fährort St. Siméon vorbei (Fähre rüber nach Rivière du Loup) zu einem kleinen Steinstrand in der “Schnittlauchbucht” (Anse de la Ciboulette).

Auf dem Steinstrand in der “Schnittlauchbucht”
Nur noch ein Tag nach Tadoussac! Ich schaff das schon! Nur ein Problem gab es noch. Vor der Einfahrt in den Fjord war eine 11,2 km lange und 6,4 km breite Steinbank (so wie eine Sandbank, nur aus hartem Stein mit Geröll darauf; “Batture” auf meiner Seekarte). Zur Flussmitte hin waren wieder starke “tide rips” verzeichnet. Von den wollte ich nichts mehr wissen. Also machte ich einen genauen Plan. Um 5:00 Uhr los, 2 Stunden gegen den Flutstrom, dann 3 Stunden mit der Ebbe, so dass ich genau bei halbem Wasser auf den “Battures” war; und dann zügig rüber nach Tadoussac.
Wieder dichter Nebel und auf Kompasskurs. Zum Glück hab ich einen ganz modernen Radarreflektor auf meinem Heck (siehe Anhang), so dass ich auf dem Radar der Fischer und Sportboote zu sehen bin. Alles ging klar, obwohl ich äußerst schwer paddeln musste, um gegen den Strom um das Cap de la Tête au Chien (Kap Hundekopf) und dann um das Rabenkap sowie die Basken Huk zu kommen. Bei Pointe Noire (Schwarze Huk), der Einfahrt in den Fjord, ebbte es laut Karte mit 7 Knoten, so dass ich umkehren und in der St. Catherine Bucht mein Strandcamping machen musste.
Am ersten Ziel: Tadoussac
Ich hatte es geschafft; ich war in Tadoussac, dem ersten Handelsplatz in der Neuen Welt. Jacques Cartier war 1535 hier, und Pierre de Chauvin errichtete hier 1600 das erste Blockhaus für den lukrativen Pelzhandel. Samuel de Champlain, der Gründer der Stadt Québec im Jahre 1608, segelte in demselben Jahr auch noch den Saguenay Fjord hoch, wie ich es jetzt tun wollte, auf der Suche nach der “Salzwasser See im Norden”, James und Hudson Bay.
Ich hielt auch vergebens Umschau nach den “tadoussacs”, nach denen der Ort benannt wurde, – zwei runden, brustförmigen Hügeln. Ich sah aber nichts dergleichen. Vielleicht war das alles auch nur eine Wunschvorstellung der Einheimischen oder der Seeleute, die zu lange in den kalten Wäldern oder auf See gewesen waren. Bei den Grand Teton Bergen in den Rocky Mountains ist das aber schwer zu übersehen.
Teil II: Den Saguenay Fjord hoch nach Chicoutimi
213 km gepaddelt, nur noch 120 km zum Ziel! Das ist zu schaffen. Wenn nur der Wind nicht aus Nordwest den Fjord runter düst! Die Ufer sind steile Granitwände, an die 500 m hoch, mit minimalen Landungsmöglichkeiten. Das könnte interessant werden.
Wieder war Nebel. Er war so dicht, ich konnte nicht einmal das andere Ufer sehen. Aber ich schaffte es 16 km den Fjord hoch bevor die Flut kenterte. Der Ebbstrom war dann stärker als erwartet, da der Fjord ja eigentlich ein großer Fluss war und den riesigen See Lac St. Jean entwässerte. An dem Punkt merkte ich dann auch, dass der Fluss als eine wärmere Süsswasserschicht ständig zum Meer floss, trotz des Gezeitenzyklus.
Das kältere Meereswasser hob bei Flut lediglich die leichtere Flusswasserschicht, so dass ich auf der Wasseroberfläche also stets gegen den Strom paddeln musste, mal bei höherem mal bei tieferem Wasserspiegel. Ein interessantes Phänomen, das für mich aber etwas mehr Energie verlangte. (Wer nur den Saguenay paddeln will, sollte deshalb den Fjord runter von Chicoutimi nach Tadoussac paddeln, nicht wie ich den Fjord hoch.)

Blick den Fjord hoch von Petit Saguenay
Mein erster Stop war ein handtuchgroßer Kiesstrand außerhalb des Nationalparks, wo der Petit Saguenay Fluss (der Kleine Saguenay) in den Fjord mündete. Eine kleine Straße führte zu der Huk. Touristen bewunderten den großartigen Ausblick. “Sieh mal! Toll, was?”, hörte ich oft. Cameras klickten, und Minuten später waren sie wieder in ihren Autos. Dann kamen zwei “Sea-doos” sowie zwei “4-wheelers” (Geländefahrzeuge) mit je zwei gewichtigen Jugendlichen drauf. Die terrorisierten fast zwei Stunden lang die Stille der Gegend, in dem sie den Fjord oder das Steinwatt aufwühlten. Ich stopfte mir Klopapier in die Ohren, vertiefte mich in meine Bücher und Karten und konnte kaum warten, am Morgen von hier wegzukommen.

Sonnenaufgang bei Petit Saguenay
Um 5:30 sah ich dann meinen ersten Sonnenaufgang auf dieser Reise. Was für ein Unterschied von den nebligen Regentagen zuvor! Nur ein paar Nebelschwaden hingen noch an den höheren Bergspitzen. Ich paddelte an Cap Éternité und Cap Trinité vorbei, der wohl spektakulärsten Gegend im Fjord, zur Anse du Gros Ruisseau (der Bucht am großen Bach). Ich hatte diesen Ort auf meiner Karte gewählt, weil ich dort, wo der Bach in den Fjord floss, einen kleinen Kies- oder Sandstrand erwartet hatte. Und so war's auch. Außerdem waren da einige Holzplatformen zum Zelten aufgebaut. Ideal für mich, zumal niemand da war und wieder ein Gewitter aufzog.

Cap Éternité

Cap Trinité
Plötzlich wurde dann der Fjord breiter, die Steinwände zogen sich ein wenig zurück, und Ferienhäuser drängten sich ans Ufer. Als ich die Ha! Ha! Bucht überquerte, musste ich unwillkürlich lachen, obwohl Ha! Ha! eigentlich von einem alten französischen Wort abgeleitet ist, das so viel wie “Sackgasse” bedeutet. Letztes Jahr fand ich auch so eine “dead-end” Bucht auf Neufundland. Ich paddelte also in den anderen Arm in Richtung Chicoutimi.
In der Grand Anse, der Großen Bucht, schlug ich zum letzten mal mein Zelt auf, 30 cm höher als die Flutlinie vom Nachmittag. Um 23:00 kam die Flut aber bis an mein Zelt ran. Ich musste in Eile zusammenpacken und warf schnell Zelt, Schlafsack und Matratze auf das steil ansteigende Steinufer hinter meinem Camp, setzte mich mit Mückennetz über meinem Kopf auf mein Paddelkissen auf die Steine und wartete ab, bis ich eine Stunde später wieder auf meinen alten Zeltplatz zurückkehren konnte. Die Nacht war kurz, aber Schlaf kam schnell.

Typische Granit Fjordlandschaft
Ende der Reise
Ich hatte mir nur 20 km für den letzten Tag gelassen, falls ich mich irgendwo früher auf meiner Reise verspätet hatte. Ich wollte meine Frau um 11:00 Uhr an der öffentlichen Bootsrampe des Segelhafens in Chicoutimi treffen. Und da war sie dann auch, winkend und lächelnd, mit der Camera in der Hand und Gepäckträger mit Halteriemen auf dem Autodach.
Thanks, my dear, I really appreciate it!

Ankunft in Chicoutimi
Schnell wurde alles eingepackt, das Boot flüchtig gewaschen und ab ging's wieder runter nach Tadoussac, wo wir zwei wunderbare, sonnige Tage zusammen in dem traditionellen “Grand Hotel Tadoussac” Ferien-zu-zweit machten. Wir sahen Wale auf unserer kurzen Wanderung zur Fjordeinfahrt, besichtigten zwei Museen und die älteste Kirche in Kanada, bevor wir am Tag darauf mit der Fähre von St. Siméon nach Rivière du Loup über den St. Lorenz setzten und zurück nach Maine fuhren.

Überfahrt über den St. Lorenz von St. Siméon nach Rivière du Loup
Alles in allem wieder eine großartige Fahrt. Nur die “tide rips” am Adler Kap könnte ich mir das nächste mal sparen. Aber Ende gut, alles gut. Das ist das Wichtigste.
Gruß,
Reinhard
www.zollitschcanoeadventures.com

Mein Bootsheck mit Radarreflektor und Fahrtenaufkleber
INFO:
*Boot & Ausrüstung: 5,23 m Verlen Kruger SEA WIND Seekanu
*312 Gramm Carbon Bent-shaft Marathon Kanurennpaddel von Zaveral
*NOAA Papier Seekarten (kein GPS)
*Iridium Satellitentelefon (für Safety check-ins – funktionierte immer, selbst im steilwandigen Fjord)
*VHF Küstensprechfunkgerät für Wetterberichte, Coast Guard, Häfen und andere Boote
*Luneberg passiver Linsenradarreflektor von WEST MARINE (damit man mich im Nebel besser sehen kann)
*1,80 m Fahrrad-Zitterstab mit orange Fähnchen dran (auf dem Heck; damit man mich auch sonst besser sehen kann)
*Zwei 10 Liter Wassertanks von MSR-DROMEDARY (genug für die ganze Reise)
*Camping Sachen für Strandcamping, einschließlich Propankocher; alles Essen, meist in Dosen, von zu Hause (keine offiziellen Campingplätze oder Marinas)
*Unkosten: Essen und Propan von zu Hause; Auto Anfahrt: 400 km; Rückfahrt von Chicoutimi: 640 km ; (insgesamt 2080 km Autofahrt); 2 Tage im Hotel Tadoussac mit Nancy: “priceless”
*Keine Sponsoren – kein Stress, keine Verpflichtungen
Lesematerial:
Yves Oulette: Tadoussac: La Baie des Splendeur/The Magnificent Bay. Laval (Québec), Canada, 2000.
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© Reinhard Zollitsch
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